4. Zweifel

Schwierig wurde es erst, als ich zweifelnde Gedanken an diesem ganzen Tun und System bekam. Zwar fand ich auch etwas zum Thema „geistlicher Kampf“ in der Bibel, zum Beispiel:

2. Korinther 10 3-5: 3 Denn obwohl wir im Fleisch wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleisch; 4 denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig für Gott zur Zerstörung von Festungen; so zerstören wir überspitzte Gedankengebäude 5 und jede Höhe, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, und nehmen jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christi

Epheser 6 10-13: 10 Schließlich: Werdet stark im Herrn und in der Macht seiner Stärke! 11 Zieht die ganze Waffenrüstung Gottes an, damit ihr gegen die Listen des Teufels bestehen könnt! 12 Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalten, gegen die Mächte, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die geistigen Mächte der Bosheit in der Himmelswelt. 13 Deshalb ergreift die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag widerstehen und, wenn ihr alles ausgerichtet habt, stehen bleiben könnt!

Aber aus diesen Stellen konnte ich nicht so viel ableiten, dass ich mir wirklich sicher war, es mit dem geistlichen Kampf richtig zu machen und wirklich geistliche Territorien zu erobern.

Nach einiger Zeit wurde ich immer unsicherer, ob die Proklamationen von „Durchbrüchen“ in der geistlichen Welt wirklich stimmten. Konnte es nicht auch sein, dass wir da ganz nette virtuelle Kämpfe praktizierten, Jesus es aber viel besser gefunden hätte, wenn wir mehr Zeit und Energie damit verbracht hätten, zu den Menschen zu gehen, die Ihn nicht kennen, und mit ihnen zusammen zu sein? Er hatte in seiner Zeit auf der Erde ja auch nicht so viele Lobpreis-Festivals veranstaltet (genauer gesagt: gar keines), sondern war durch das Land gewandert und hatte mit den Jüngern und anderen Leuten sein Leben geteilt.

Mit der Zeit kam mir unser Lebensstil in der Schule immer exotischer vor. Zwar versuchte ich, meine „Identität in Christus“ zu leben und meinen „geistlichen Stand“ einzunehmen, aber innerlich fühlte ich mich dabei immer leerer, auch wenn ich das anfangs „wegzuproklamieren“ versuchte. Doch der innere Konflikt wuchs. Was tun?

Eine weitere Lehre dieser Schule besagte, dass in der Unterordnung unter das Leitungsteam der Segen Gottes liege und man dann geistlich wachsen würde. Kritische Gedanken könnten einem rebellischen Geist entstammen (dem Geist Isebels) oder Angriffe des Teufels sein. Wenn man solchen Gedanken Raum geben würde, würde man sich selbst unter einen Fluch bringen und sich von Gott entfernen. Solchen Impulsen gälte es, „standhaft im Glauben“ zu widerstehen, die Wahrheit zu proklamieren, das "Fleisch" nicht zu pflegen und "Satan keinen Raum zu geben". Auch solle man solche Gedanken nicht weiter verbreiten, vor allem nicht unter Mitschülern. Mit inneren Konflikten solle man nur zum Leitungsteam gehen und nur mit ihnen Seelsorge-Gespräche führen.

Es wurde erwartet, dass man sich den Regeln fügte, an allen Veranstaltungen teilnahm, alle Studienaufgaben erledigte und Kritik - wenn überhaupt - nur mit dem Leitungsteam besprach. Grundsätzlich war Kritik nicht verboten und wurde auch nicht pauschal verteufelt, aber es wurde darauf geachtet, dass das Leitungsteam sich der entsprechenden Leuten annahm und diese nicht untereinander darüber sprachen. Vereinzelt haben dann Leute während des Schuljahres, oft stillschweigend, die Schule verlassen. Nur in seltenen Fällen wurden vom Leitungsteam alle Schüler offiziell darüber informiert, dass es unvereinbare Differenzen gegeben hätte.

Die Schule vertrat eine feste geistliche Position. Dem Einzelnen stand es frei, die Schule zu verlassen, aber grundsätzliche Kritik schien nicht erwünscht. Wenn man gehen wollte, wurde man nicht mit einem Fluch belegt, allerdings konnte man aufgrund der vermittelten Unterordnungslehre den Eindruck gewinnen, dass man möglicherweise - nämlich bei rebellischer Grundeinstellung - nicht mehr unter „geistlicher Abdeckung“ stände und damit eventuell verstärkten geistlichen Angriffen ausgesetzt sei. Außerdem würde man möglicherweise im Widerstand zu Gott stehen und dadurch keine geistliche Vollmacht mehr haben.

Schuld an einer vorzeitigen Trennung von der Schule schien eigentlich immer der Schüler zu haben. Meinem Eindruck nach präsentierte und proklamierte die Schule sich als von Gott eingesetzt, gesegnet und richtig. Es wurde meiner Erinnerung nach nicht vermittelt, dass möglicherweise auch die Schule in Teilen fehlerhaft sein könnte. Um Kritik wurde nicht gebeten, sie schien nicht willkommen.

Meinem Eindruck nach wurden die Schüler nicht als gleichwertige ernsthafte Partner wahrgenommen, sondern als grundsätzlich unreifer als die Leitungspersonen, so dass sie sich diesen unterzuordnen und mögliche Missstände auszuhalten hätten. Allerdings wurde freigestellt, Kritik im Gebet Gott sagen zu können, der es dann ja an das Leitungsteam weitergeben könnte.

Nun war mir aber nicht klar, ob meine kritischen Gedanken ein Mangel an Unterordnung waren. Eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, das Leitungsteam zu missachten oder zu rebellieren, trotz meiner Fragen und inneren Konflikte. Allerdings befürchtete ich sehr, dass mir solches unterstellt würde, wenn ich diese Gedanken äußern würde. Anhand mancher Aussagen in Predigten oder Unterrichtslektionen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass meine kritischen Gedanken zum „geistlichen Kampf“, wie er dort praktiziert wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit als Rebellion gegen das Leitungsteam und seine geistlichen Eindrücke interpretiert würden. So behielt ich diese Gedanken für mich und entschied mich, äußerlich weiter mit zu machen, ob das nun geistlich war oder nicht.